Grün, grüner, hippe und junge Nachhaltigkeitsbubble. Das bedeutet, zumindest auf dem Papier, dass der umweltbewusste Lebensstil oberste Priorität hat und das heißt, zumindest gemäß meiner Definition, dass man weniger und bewusster konsumiert. Also, ist die grüne, junge Nachhaltigkeitsbubble wirklich so nachhaltig wie sie denkt oder belügt sie sich am Ende doch nur selbst?
Spoiler: ich meine jetzt die breite Masse der Nachhaltigkeitsbubble. Ausnahmen bestätigen die Regel. Dieser Beitrag soll einen Anstoß zur Selbstreflexion geben. Falls Du also deswegen sauer auf mich wirst, dann kann das daran liegen, dass ich Quatsch schreibe oder, dass am Ende ein bisschen Wahrheit in dem liegt, was ich sage. Ich schreibe immer aus meiner eigenen Perspektive und aus meiner eigenen Lebenserfahrung raus. Also sei beruhigt, ich schließe mich hier nicht aus. Mehr dann dazu aber in den folgenden Zeilen.
Eine Statistik vorab, die als Basis für alles gesehen werden kann: Menschen in Deutschland wollen nachhaltiger leben, aber Menschen unter 55 schneiden in fast allen abgefragten Punkten schlechter ab, als die ältere Generation [0]. Meine Lieblingskategorie hier: "Welche Maßnahmen ergreifen Sie um nachhaltiger zu leben? - trifft nicht zu, ich ergreife keine Maßnahmen". Fast 10% der Menschen zwischen 45 und 54 haben hier 2019 ja angekreuzt. Ok, Boomer.
Glaube auf solche Dinge wie: weniger Fleisch oder allgemein tierische Produkte fürs Klima und die Umwelt essen, darauf können sich alle einigen [1]. Nehmen wir also mal an, dass sich alle Leute, die sich in der jungen und hippen Nachhaltigkeitsbubble bewegen darauf einigen und dann auch vegan oder vegetarisch essen. In Deutschland sind 2022 2% der Menschen vegan und 10% der Menschen vegetarisch gewesen. Die meisten auch unter 30, also die Gruppe, die wir uns anschauen möchten [2]. Also hier zumindest schon mal ein Daumen hoch, das passt ins Bild.
Umweltbewusst leben bedeutet aber auch, dass man zum Beispiel Biodiversität berücksichtigt. Das kann man beim Einkauf am besten dadurch, dass man auf eine ökologische und regionale Landwirtschaft achtet und/oder auf dem Wochen- oder Bauernmarkt einkaufen geht. Klar, das Thema ist komplexer, aber der*die Konsument*in hat hier relativ einfach die Möglichkeit, in einem kleinen Maßstab darauf zu achten.
In Deutschland gingen 2022 rund 30 Millionen Menschen auf dem Bauernmarkt oder dem Wochenmarkt einkaufen [3]. Das sind 24% und schon auf jeden Fall mehr Leute, als ich jetzt persönlich gedacht habe. Was die da genau dann einkaufen, das weiß man nicht, aber ist zumindest mal ein Anfang. Klar ist aber auch, dass schon allein vom Bauchgefühl hier eher seltener junge Menschen anzutreffen sind. Das hat viele Gründe. Einer ist sicherlich, dass Wochenmärkte immer zu komischen Uhrzeiten unter der Woche stattfinden und man dann keine Zeit hat und am Wochenende sind sie oft morgens und sorry, aber da heißt es Auskatern. Die Stadt Schorndorf hat hier mal eine Bürger*innenumfrage gemacht und auch hier zeigen die Zahlen: der Eindruck trügt nicht [4]. Die Altersgruppe unter 40 ist unterrepräsentiert und geht, wenn überhaupt, nur selten auf den Wochenmarkt. Die Altersgruppe Ü40 dominiert sogar, mit starken 80%. Auch die bereits zu Anfang erwähnte Statistik [0] zeigt: je jünger ein Mensch ist, desto seltener kauft er*sie regional ein.
Alles nur ein Grund der Uhrzeit? Ich glaube ehrlich gesagt nicht. Das ist auch ein Grund der Bequemlichkeit. Die junge und hippe Nachhaltigkeitsbubble ist es einfach gewöhnt, dass alles jetzt und sofort da ist, dass es schnell geht und man nimmt sich nicht mehr so viel Zeit für die Dinge. Ein Besuch auf dem Wochenmarkt? Ne ey, das dauert ja eine halbe Ewigkeit und außerdem muss man da mit Menschen reden. So richtig. Smalltalk! Das geht gar nicht. Wir sind doch die Generation „ich habe den Anruf nicht verpasst, ich hatte nur keine Lust dranzugehen“.
Doch regional im Supermarkt? Das ist gar nicht so leicht. Ich bin selbst lange auf den Wochenmarkt gegangen und bin dann, nach meinem Umzug auch nie mehr da gewesen. Die Auswahl an regionalen Lebensmitteln im Supermarkt ist meiner Erfahrung nach begrenzt. Und an dieser Stelle: ja auch ich passe wohl mehr oder weniger ziemlich gut ins Bild der verblendeten Nachhaltigkeitsbubble. Auch die „B-Lebensmittel“ finden in Supermärkten nicht oder kaum statt und auf dem Wochenmarkt schon. Auch wieder ein Problem, was ich hier also nur am Rande anschneide, die Lebensmittelverschwendung. Definitiv also ein Minus in Sachen bewusst leben und somit ein Minus für die Nachhaltigkeitsbubble.
Gehen wir jetzt aber mal vom Wochenmarkt in den Biomarkt. Denn: nachhaltig und bewusst leben, das assoziiert man doch schnell mit Bio. Doch ist hier alles wirklich so grün? Bei 6,4% Bioanteil aller in Deutschland verkaufter Lebensmittel und nur 2,6% bzw. 3,6% bei Fleisch, kann ich mir das irgendwie grade nicht so richtig vorstellen [5]. Außerdem: nur drei Prozent der 14 bis 29 Jährigen gaben 2021 an ausschließlich Bio zu kaufen [6]. Das ist ziemlich wenig und steht auch ein bisschen in Kontrast zu den 30% zwischen 18 und 24 Jahren, die angaben, aus Nachhaltigkeitsgründen Bio einzukaufen [0].
Ein Grund für den relativ geringen Konsum ist bestimmt, dass Bio teuer oder teurer ist und an sich würde ich dieses Argument auch stehen lassen, wenn wir nicht jetzt zum wirklichen Klopper kommen und zum Kern meiner These, dass sich die Bubble selbst anlügt, nämlich zur Rubrik Fashion, die für mich jetzt mal symbolisch für die Art des Konsums in der Nachhaltigkeitsbubble steht, der absolut weird und ganz sicher nicht (umwelt-)bewusst ist. Denn: 57,9% der jungen Menschen geben ihr Geld für Kleidung aus. Das ist ziemlich viel! Sowas banales wie Hobbies ist da weit abgeschlagen, mit nur 20,3 % [16]. Doch für welche Art von Fashion wird hier Geld ausgegeben?
Ein Beispiel: der Slow Fashion Monitor 2021 [7] hat in seiner Befragung von 1.490 Verbraucher*innen zwischen 15 und 69 Jahren herausgefunden, dass überhaupt nur 8% der Befragten slow fashion Teile besitzen. Das ist super wenig! Bei vielen wird es wohl daran scheitern, bei genauer gesagt 66%, dass slow fashion meist relativ teuer ist. Da junge Menschen meist weniger Geld haben, könnte man das Geld Argument wohl auch hier stehen lassen, gäbe es nicht Markentrends, bei denen man ja sieht, dass der junge Mensch auch bereit ist mal 300€ und mehr für eine Jacke auszugeben, die dann nach kurzer Zeit wieder bei Vinted verkauft wird.
Das zumindest als slow fashion geltende Unternehmen Patagonia hat 2021 einen Jahresumsatz von 1,02 Milliarden US-Dollarn gemacht [8]. Da kostet ein Fleecepulli dann auch mal 300$. Ist ja aber nachhaltig produziert und die Qualität ist schon übelst gut, das kann man ja dann mal machen...
Die junge, hippe Ökobubble und allgemein viele junge Leute sind also bereit, mehrere hundert Euro für Mode auszugeben, aber allgemein wird gespart? An Bio, regionalem Einkauf und Dinge reparieren, wenn sie kaputt sind [0]? Obwohl das WIRKLICH etwas bewirken würde? Auf das schlechte Gewissen doch mal schnell ein Got Bag aus recyceltem Ozeanplastik, für 160€ oder einen großen Haferlatte für 6€. Man gönnt sich ja sonst nichts. Ach, das Got Bag Versprechen mit den 100% Meeresplastik stimmt gar nicht [9]? Egal.
Konsum über Konsum. Eigentlich wissen wir doch alle, dass Konsum die Probleme nicht löst und trotzdem konsumieren wir viel. Fast 50% der Menschen zwischen 14 und 25 gaben 2021 an, dass sie monatlich mehr Geld ausgeben, als sie es sich vorgenommen haben [10]. Ist aber auch besonders einfach übers Internet, wo die jungen Menschen heutzutage ja am liebsten einkaufen gehen [11]. Denn beim Klimakiller Streaming [12] nur auf das Video oder die Audiodatei konzentrieren? Ne, das geht nicht.
Ich könnte noch ganz viele weitere Beispiele aus dem Hut zaubern, wieso sich die Nachhaltigkeitsbubble selbst belügt. Das ganze Thema Plastik habe ich ja noch gar nicht angesprochen. Da wird zwar angegeben, dass man es sparen möchte und es gibt dann ganz tolle Tutorials, wie man aus fester Seife flüssige macht, aber gleichzeitig machen Unverpacktläden zu. Die haben wohl ein ähnliches Schicksal wie die regionalen Märkte. Oder auch das Thema Reisen habe ich nicht näher diskutiert. Es macht mich an manchen Stellen schon einfach sauer, wenn Leute immer predigen, dass sie ja alles versuchen nachhaltig zu leben und dann mal schwups, ganz spontan, ne Woche auf den Malediven sind. Really?! Jetzt werden vielleicht einige sagen, dass man die Verantwortung nicht auf Einzelnen ablegen darf und dass die Politik und die großen Konzerne da ja auch mal vorlegen müssen. Ja, das stimmt, aber gleichzeitig stimmt das auch nicht. Denn einerseits kann unser Handeln bis zu ein Drittel des eigenen Fußabdrucks beeinflussen [17], das ist ganz schön viel, und die Politik ist nur so fortschrittlich wie die Leute, die sie machen und das sind letztendlich ja die Leute, die die Gesellschaft wählt, also wir. Du und ich. Bei sehr vielen, sehr konservativen alten Menschen in Deutschland ist es aber dennoch schwierig, progressive Politik zu machen. I get it. Trotzdem: FDP wählen?! Really? [18]
Wir können uns als Einzelperson nicht immer so rausnehmen und ja, das stinkt ganz ganz vielen, aber wir müssen ALLE kürzer treten. Wir müssen alle akzeptieren, dass wir nicht weiter so konsumieren können wie jetzt und auch in der grünen Bubble muss akzeptiert werden, dass auch ein Konsum von nachhaltigen Produkten ein Konsum von Dingen ist, die neu hergestellt wurden und bei den ganzen Greenwashing Skandalen der letzten Jahre, ob aufgedeckt oder noch schlummernd, ist auch fraglich, was jetzt wirklich nachhaltig ist. Ach so, ne, das ist ja gar nicht fraglich. Nicht kaufen wäre am nachhaltigsten oder Sachen reparieren. Doch das passiert einfach noch viel zu selten. Nur zwei von fünf Personen in der jungen Altersgruppe würden Sachen tendenziell eher reparieren anstatt es neu zu kaufen [0].
Ich glaube Fynn Kliemann ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie viel Bullshit in dieser Nachhaltigkeitsbubble passiert und wie viel Geld man mit Dingen machen kann, die ja vermeintlich so nachhaltig sind. Mensch aus der Bubble ist halt leider bereits, für Nachhaltigkeit auch mehr zu bezahlen. Dass das aber nicht immer heißt, dass es auch nachhaltig ist, das wissen wir ja jetzt. Denn Hilfe, jetzt noch ein Jutebeutel oder eine überteuerte Stoffmaske, aber diesmal aus dem Kliemannsland? Das braucht der grüne Hippster von damals. Und yeah, lasst uns alle etwas heimwerkeln. Ohne Plan und Verstand, aber ist fun und ein Palettenbett, das brauchen wir! Und dann gehen wir zu Toom, weil da hat der Fynn gesagt, dass es da coole Sachen gibt. Ach so, ne, der hat nur eine Kooperation mit denen und es war bezahlte Werbung. Oder hatte. Ne geile Prise Krise an der Stelle [13].
Und ja, ich nehme mich da nicht raus. Ich habe in den letzten Jahren wirklich so ein bisschen das Ziel aus den Augen verloren. Bei mir ist das vor lauter Frust auf die wirklich zähen Fortschritte in puncto Klima passiert. Ich hatte einfach keine Lust mehr auf alles und mich hat die Kraft verlassen, auf alles zu achten. Ich habe auch viel verdrängt und mir schön geredet. Und wohin hat mich das gebracht? Jetzt habe ich es doch letztes Jahr tatsächlich geschafft, mir ein neues fast fashion Kleidungsstück zu kaufen, das ein absoluter Fehlkauf war, weil es schrecklich an mir aussieht. Damit ich wenigstens noch halbwegs grün aus der Nummer rauskomme, werde ich wohl damit zur Änderungsschneiderei schlappen. In der Hoffnung, dass dies retten können. Denn nähen kann ich auch nicht.
Doch wie kommen wir aus dem ganzen Schlamassel wieder raus? Ich kann Dir nur sagen, wie ich jetzt vorgehen werden.
Punkt 1: Weniger bequem sein
Damit löse ich gleich mehrere Probleme auf einmal. Zum einen koche ich dadurch frischer, was im Zweifel Verpackungsmüll spart. Ich gehe vielleicht mal wieder auf den Markt und kaufe regionaler und verpackungsarmer ein und, ganz wichtig, ich suche vielleicht länger und entspannter nach Secondhandartikeln von Dingen, die ich brauche.
Punkt 2: Lernen, mich wieder mehr auf eine Sache zu konzentrieren, die nichts mit elektronischen Geräten zutun hat
Das hat zum einen psychische Vorteile und zum anderen spart es Energiekosten bei mir Zuhause und dort, wo die Server stehen. Easy. Ich habe schon länger einen Büchereiausweis und Lesen macht Spaß, klug und ein Büchereiausweis ist echt ne feine Sache.
Punkt 3: Weniger konsumieren
Macht sowieso nicht richtig glücklich [14] und durch einen minimalistischeren Lebensstil, benutze ich zumindest alle Dinge, die ich habe. Außerdem habe ich jetzt ein neues Mantra: ich brauche eigentlich nichts, ich habe schon alles… Ist vielleicht dann nicht immer super cool und hip, aber das macht ja nichts. Retro ist ja grade trendy.
Zum Abschluss möchte ich aber nochmal auf den psychischen Hintergrund des sich selbst Anlügens eingehen, der dann auch, meiner Meinung nach, mit einem kontraproduktiven Konsumverhalten einhergeht. Vielleicht hast Du schon mal von dem Begriff Umweltangst gehört. Diese entsteht durch die durch den Klimawandel hervorgerufenen Auswirkungen, vor denen die Person dann solche Angst hat, dass sie schwere psychische Erkrankungen bekommen kann. Das können Panikattacken sein, Schlaflosigkeit und Appetitverlust, aber auch Verdrängung [15]. Und gerade dieser Verdrängungsmechanismus, der dann irgendwie mit einer „ich kann ja nicht alles machen“ Mentalität einhergeht, ist in der grünen Bubble sehr vorherrschend. So wie bei mir.
Außerdem stimmt auch manchmal die Selbstwahrnehmung nicht. Das klassische „Bärchen Wurst ist kein Fleisch Problem. Also im übertragenen Sinne. Es ist aber halt nicht gut mit: ich bin jetzt vegetarisch oder vegan und jetzt kann ich mir dafür ne Pradatasche kaufen. Ist halt trotzdem scheiße und unnötig. Wie Bärchen Wurst.
Und ja, die grüne Bubble muss nicht alles stemmen und ein Angriff auf Einzelpersonen ist auch in erster Linie sinnlos. Trotzdem müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie authentisch wir als Gruppe sind. Glaube das ist ein wichtiges Stichwort. Und ja, hier geht auch wieder Verantwortung von Einzelpersonen weg und das ist auch wichtig, denn auch ich möchte nicht als Einzelperson ständig darauf hingewiesen werden, was an meinem Lebensstil gar nicht so nachhaltig ist. Vor allem nicht von Leuten, die es nicht besser machen. Trotzdem müssen wir glaube ich nochmal unsere Graustufen überdenken und die Bärchen Wurst in unserem Leben erkennen.
Also alles in allem ein komplexes Thema und ganz final sind meine Gedanken noch nicht dazu, also wird es sicherlich noch einen zweiten Teil geben. Ich bin gespannt, was Deine Meinung dazu ist, schreib es mir gerne in die Kommentare.
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Weiterführende Kommentare und Beiträge
31.01.2023: öffentlicher Kommentar/Beitrag auf meinem Patreon-Account, mit weiteren Gedanken und ein bisschen behind-the-scenes, wie ich überhaupt auf die Idee gekommen bin, diesen Beitrag zu schreiben.
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Heinrich Maiworm (Samstag, 25 März 2023 20:53)
Dann spreche ich das Thema Plastik an:
https://dein-kunststoff.de/gemeinschaftsinitiative-der-kunststoffindustrie/
Spannend.