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Alter Schwede, war das eine schreckliche Anreise.

Vor gut zwei Wochen bin ich nach Schweden abgehauen. Für vier Monate. Seit fast einem Jahr geplant. Mit dabei hatte ich einen großen Koffer, meine Abfahrtski, Skischuhe und einen Rucksack. Im Gepäck waren eine fast 100€ teure Reiseapotheke (Sinupret, nice Halsbonbons und alles, was man sonst so braucht), außerdem mein Podcastmikrofon, Klamotten für Abfahrt- und Langlaufski, meine Boxhandschuhe... an Klamotten hatte ich mich auf schwarze Dinge festgelegt, dreimal den gleichen Rollkragenpullover und die gleiche Leggings gekauft und allgemein hatte ich vor allem Sportsachen eingepackt, da ich, neben der Arbeit, ja vor allem das Ziel hatte, Sport zu machen. Primär Langlauf, doch die erste Ernüchterung kam bereits vor der Abreise, denn in Umea (eigentlich Umeå, aber ich kann dieses a mit dem Kringel nicht auf meiner Tastatur schreiben) lag noch kein Schnee. Dabei hatte ich doch extra einen so nördlichen Ort ausgesucht, weil ich dachte, dass es dort dann schon Schnee geben würde!! Sehr enttäuschend.

 

Doch diese Enttäuschung blieb nicht die einzige. Nachhaltig wie ich gerne leben möchte und mit einem absolut ungeilem Gefühl, wenn ich fliege, habe ich mich schon vor Monaten ganz stolz für einen Nachtzug entschieden. Ja, ich reise mit dem Zug. Der Weg ist das Abenteuer und so. Die erste Bahngesellschaft, bei der ich den Zug buchen wollte, hatte zwar am gewünschten Datum einen Zug ab Berlin im Repertoire, allerdings schaltete sie diesen nie frei. Das wusste ich aber nicht, weswegen ich meinen Aufenthalt in Berlin fröhlich weiter plante. Irgendwann ging mir dann ein Licht auf, das AirBnB in Berlin war aber schon gebucht, meine Begleitung freute sich auch schon, also dachte ich mir egal, dann fahre ich halt noch nach Hamburg Altona und von dort los, das ist ja nicht weit weg von Berlin.

 

Der Zug mit der ÖBB wurde also gebucht, startend von Hamburg Altona. Das war sechs Wochen vor der geplanten Abfahrt. Happy Maya war also ganz beseelt, freute sich auf die kommende Zeit. Bis zu einem verhängnisvollem Samstag Abend, an dem sie ihr Handy checkte. Dort trudelte nämlich eine Mail von der ÖBB ein, dass etwas mit dem gebuchten Zug war. Irgendwas war geändert worden. Ok, was könnte das nur sein? Gleisänderung? Easy. Aus der Mail konnte man nichts entnehmen, also ab an den PC und nochmal richtig suchen. Es zeigte sich: upsi dupsi, drei Wochen vor Abfahrt ist einfach der KOMPLETTE ZUG GECANCELT WORDEN. Ungeil. Denn folgende Dinge hingen an dieser einzigen Zugfahrt dran:

  • Zug von Berlin nach Hamburg Altona
  • Anschlusszug in Stockholm am ANDEREN Tag - sollte ja eine Fahrt mit dem Nachtzug werden
  • AirBnB Buchung in Berlin bis einschließlich Sonntag Morgen, weil die Abfahrt Samstag Abend geplant war und man das AirBnB samstags noch nutzen wollte

Die Suche nach einem neuen Zug zeigte: es gab noch einen zweiten Zug, der samstags nach Stockholm fuhr. Allerdings mit Umsteigen und morgens um 9 Uhr in Hamburg. Ok, es wurde also dieser Zug gebucht, ein Hotel in Hamburg (von Freitag auf Samstag) und ein Hotel in Stockholm (von Samstag auf Sonntag) ebenfalls und eine Nachricht an den AirBnB Vermieter in Berlin geschrieben, ob man die Reservierung verkürzen könnte. Überraschung, konnte man natürlich nicht, da der Vermieter, Zitat, "normalerweise nur mehrere Wochen vermieten würde und für uns sowieso schon eine Ausnahme gemacht habe". Mehrere Dinge regen mich an dieser Aussage so massiv auf:

  1. es gibt Bewertungen von Leuten, die nur 5 Tage da waren 
  2. er vermietet das scheiß Appartement auch AB 5 Tagen
  3. wir hätten es an einem Freitag Vormittag verlassen, sodass er es das ganze Wochenende hätte vermieten können, was aus meiner Sicht ja eigentlich ein cooler Deal ist!
  4. Und diese scheiß freche Aussage "das wäre ja eh schon ein Entgegenkommen gewesen" ist einfach auch menschlich super frech, da wir in einer Notsituation waren

Ey das regt mich immer noch so auf. Der hat dann auch im Nachhinein noch im Befehlston gesagt, dass wir ja super pünktlich bei der Schlüsselübergabe sein sollen, weil die ja vom anderen Ende der Stadt kommen. Ich bin dann da super ängstlich hingefahren und dann war da einfach nur die mega süße und engagierte Reinigungskraft, die super entspannt war. Wirklich eine ganz schlimme Erfahrung, da meine Nerven sowieso schon total gespannt waren.

 

Rechnen wir also mal die Kosten zusammen, die sich bis dahin so ergeben hatten:

  • gestrichener Nachtzug - Geld wurde aber kommentarlos erstattet
  • neues Zugticket war aber viel teurer
  • Zusatzkosten für Hotel in Hamburg
  • Zusatzkosten für Hotel in Stockholm
  • Extrakosten für AirBnB, das wir drei Tage länger buchen mussten
  • Sinnlose Kosten für Zug von Berlin nach Hamburg
  • Zusatzkosten für neuen Zug von Berlin nach Hamburg

SOOOOOOOOOOO teuer und so nervig. Doch damit war es noch nicht genug, denn am 8. Oktober 2022 gab es einen Anschlag auf das Zugnetz in Deutschland [1]. Davon betroffen: das Zugnetz in Norddeutschland. Konsequenz? Zugausfälle in Norddeutschland. Der Zug von Hamburg nach Kopenhagen? Der fuhr nicht.

 

So stand ich also da, mit meinem sau schweren Gepäck, heulend am Bahnhof und wusste nicht mehr, was ich machen soll. Wieso waren die Steine so viel und so groß? Wie sollte ich denn noch bis zum nächsten Tag nach Stockholm kommen, um dort meinen Zug nach Umea zu nehmen, den man natürlich nicht stornieren konnte? (Wieso auch, bei der Buchung ging ich davon aus, dass alles klappen würde!!!!!). Ich wusste: "entweder kommst Du heute noch irgendwie nach Schweden oder Du brichst das hier ab."

 

Die letzte Lösung war ein Flug. Mit dem ganzen Gepäck? Natürlich auch total teuer. Ich hab's trotzdem gemacht. In der Businessclass konnte man mehr Gepäck mitnehmen, mein Koffer war zwar nur ganz knapp unter den 32 kg, die man so mitnehmen kann, aber irgendwie ging es. SAS macht zum Glück auch keine Probleme mit Sperrgepäck, das konnte man individuell auswählen, dass man Skier dabei hat. Also alles gut. Kurze Krise gab es dann nochmal am Flughafen, weil das voll automatisierte Gepäckband meinen Koffer nicht einchecken wollte, weil er zu schwer war (schwerer als 23 kg). Weit und breit natürlich auch keine Mitarbeiter*innen von SAS. Der Mann beim Sperrgepäck war aber gnädig und hat ihn aufgenommen.

 

Und was soll ich sagen? In der Businessclass fliegt es sich einfach sehr angenehm. Auf den ganzen Stress habe ich mir erstmal ein alkoholfreies Radler in der Lufthansa Lounge gegönnt. Beim Umstieg in Kopenhagen gab es in der SAS Lounge nochmal eines. Außerdem gibt es in den Lounges leckeres und auch gesundes Essen. Ich konnte mir also den Bauch vollstopfen. In Stockholm angekommen bin ich dann, mit meinem ganzen Gepäck, auch irgendwie ins Hotel gekommen, dort noch schnell in die Sauna und dann war ich wirklich fertig mit meinem Leben.

 

Am nächsten Tag dann der Zug nach Umea. Da nur 10€ teurer, habe ich ihn damals auch in der 1. Klasse gebucht und auch das erwies sich als clever, denn auch hier gab es in der SJ Lounge kostenloses Essen und Getränke und, was ich richtig nice fand, auch während der ganzen Fahrt. Also es gab da Snacks, Kaffee und Wasser. Bei sechs Stunden Fahrt aber super angenehm.

 

Was ist auch meinen ganzen Tickets geworden? Habe ich etwas zurückerhalten? Bis jetzt nur das für den Nachtzug und für das sinnlose von Berlin nach Hamburg. Da kam mir der Zugausfall zugute, das hätte ich bei einem normalen Ablauf nicht erstattet bekommen. Auf die Rückerstattung des Tickets von Hamburg nach Stockholm warte ich allerdings noch. Ich hoffe, dass es da bald eine Rückmeldung gibt.

 

Ich bin hier jetzt also angekommen und habe mich gut eingelebt. Gerade versuche ich eine gute Work-life-balance zu finden. Ich bin auf jeden Fall dankbar, dass ich mir diese ganzen Eskapaden überhaupt leisten konnte und ich hoffe, dass die Rückfahrt besser wird. Über Weihnachten bin ich in Stockholm und fahre hierzu mit dem Nachzug von Umea nach Stockholm. Bin schon gespannt wie das wird und ob das alles so klappt. Aber ich bin guter Dinge. Ein bisschen hat mich diese ganze Reise auch gelehrt, dass am Ende doch irgendwie alles gut wird. Trotzdem würd ich's nicht gerne wiederholen.

 

Ganz liebe Grüße aus Schweden!

 

Hej då!

 

Eure Maya

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Kommentare: 1
  • #1

    Heinrich Maiworm (Sonntag, 23 Oktober 2022 00:27)

    Eine Reise
    Eigentlich wollte ich Jean-Michel besuchen, einen reichen Armenarzt. Aber als ich Lyon erreichte, meldete das Radio gerade François Mitterrands Wahlniederlage. Dessen Sieg hatte ich mit meinem Freund feiern wollen. Also trampte ich weiter Richtung Süden. Und landete dank meiner Reiselektüre „Die Stundentrommel vom heiligen Berg Athos“ in Ouranopolis, dem einzigen offiziellen Zugang zur Mönchsrepublik. Im Vertrauen darauf, dass Vorschriften in Griechenland nicht so streng eingehalten würden, bestieg ich das Schiff Richtung Dafni. Als ich aber die erforderlichen Einreisedokumente nicht vorlegen konnte, musste das Schiff umkehren und mich wieder absetzen. Von Thessaloniki war ich mit dem Bus angereist, jetzt ging ich den Weg zurück zu Fuss. Was später zu einem Spießrutenlauf zwischen Campingplätzen und Hotels geworden wäre, war damals eine Wanderung im ursprünglichen Griechenland. Ein Traum, mein Traum.

    Nicht nur auf Athos gab es - wie von Erhart Kästner eindrucksvoll beschrieben – asketisch lebende Eremiten, auch in der ziemlich menschenleeren Chalkidiki. Sie hielten sich Hunde, nicht besonders freundliche Hunde. Vor einem langen Wanderstab hatten sie Respekt, davon gab es zum Glück genug. Selten waren Autos. Keines fuhr an mir vorbei. In der griechischen Mythologie sind Wanderer oft Götter, das sass noch tief. Neugierig waren die Fahrer auch, aber ich liess mich nur abends ins nächste Dorf mitnehmen. Abgeladen wurde ich im Dorfladen, der auch Dorfgaststätte war. Obwohl ich Altgriechisch gelernt hatte, war die Verständigung schwierig. Aber hatte nicht jemand im Krieg Kontakt zu den Deutschen gehabt? Der wurde schnell geholt. Und wiederholte zur Freude der anderen ständig den einzigen Satz, der ihm im Gedächtnis geblieben war. Na ja. Ich bekam zu essen, zu trinken und ein Bett. Unendliche Gastfreundschaft.

    In Stratoni verbrachte ich einen Tag bei einem Schiffbauer, der Fischerboote aus Zedernholz herstellte. Wir unterhielten uns blendend. „Mechanikos“ sagte er und zeigte auf sich. „Philosophos“ antwortete ich. Wir freuten uns. Ob er die Geschichte von Aristoteles kannte, der auf dem Weg nach Athen von seinem nahegelegenen Heimatort Stageira aus kommend mit seinem Vorfahren das gleiche Gespräch geführt hatte, um anschliessend in eines von dessen metallfreien Schiffen einzusteigen? Die Schiffe hatten sich nicht geändert, anders als der spätere Peripatetiker wollte ich aber noch ein Stück zu Fuss gehen.

    Das Holzstück, das ich mitgenommen hatte, roch bald nach nichts mehr. Dort, in der kleinen Werft mit ihrem frisch geschlagenen Materialvorrat, war sein Duft intensiv allgegenwärtig. Wie soll ich ihn beschreiben? Er sitzt tief in meinem Gedächtnis.

    Letztlich landete ich doch in Athen. Vom Busbahnhof nahm ich den Magic Bus von Teheran nach London. Der Ticketverkäufer warnte mich, in Deutschland dürfe ich nicht aussteigen. „Das ist verboten!“, sagte er auf Deutsch. Aber auch in Deutschland wurde damals nicht mehr alles so eng gesehen.

    Das Zedernholzstück habe ich lange aufbewahrt, auch wenn es nach nichts mehr roch. Gezehrt habe ich von den vielen Malen, die es mir das Tor zur Blumenwiese aufgeschlossen hat.